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Geschichte des Scherenstuhls

Der Scherenstuhl: Innovatives Design und Funktionalität im Einklang

Die Geschichte des Scherenstuhls ist ein fesselndes Kapitel in der Möbelhistorie, das die Balance zwischen Form und Funktion in einem ikonischen Design verkörpert.

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Auf den Spuren eines wahrhaften Möbelklassikers -
zur Geschichte des Scherenstuhls

"...Stühle dieser Art machen, vereinzelt aufgestellt, einen malerischen und
vornehmen Eindruck, namentlich, wenn in gutem Holz ausgeführt und poliert...."1


Ein Beitrag von Wilma Rambow
Wiedebachstr. 02, 04277 Leipzig
  1. Zum Möbeltypus und dessen Geschichte
  2. Zur sozialen Stellung der Nutzer
  3. Quellen, Literatur, Bilder - Scherenstuhl

Zum Möbeltypus und dessen Geschichte

Der Falt- bzw. Scherenstuhl war in seiner Urform als schlichtes, sägebockartiges Faltmodell mit Stoff- oder Lederbespannung bereits im alten Ägypten bekannt und ist für den europäischen Raum ebenfalls bereits aus vorchristlicher Zeit überliefert. Griechische Vasenbilder, welche Scherenstühle zeigen, sind keine Seltenheit.

Die Adaption griechischer Kultur, auch der Alltagskultur bis hin zur Übernahme von Möbeltypen durch die Römer ist an diesem Sitzmöbel beispielhaft nachvollziehbar. Als Senatoren-, ja sogar Imperatorensitz ist diese Konstruktion wohl in seiner Geschichte erstmals bedeutend geworden und in seiner römischen Bezeichnung als „Sella curulis“ (Kurulischer Stuhl) überliefert.

Aus frühchristlicher, frühmittelalterlicher Zeit sind uns zwar keine Exemplare erhalten geblieben, schriftliche Anmerkungen von Mönchen mit Beschreibungen von Scherenstühlen sind jedoch aus der Zeit vor 1000 bekannt.

Von größerem Interesse und Beliebtheit war er jedoch erst in spätgotischer Zeit wieder und erfuhr hier eine regelrechte Blütezeit. Mittelalterliche Tafelbilder und Miniaturen bezeugen dies. Aber auch auf uns gekommene Originale sind aus dieser Zeit vorhanden. Nun beginnt auch das Experimentieren, Variieren und Verzieren des Modells Scherenstuhl. Es entstehen in dieser Zeit die ersten Modelle mit Rückenlehne, die ganz unterschiedliche Ausformungen bekommt. Als großflächigstes Bauteil des Mobiliars bieten diese Lehnen Raum für die fantasievollsten, detailreichsten, kunsthandwerklichen Verzierungen in Form von Schnitzereien oder Einlegearbeiten. Die Liebe der Gotik zu konstruktiv- technischen Details zeigt sich hier auch bis hin zum Möbelbau- schwenkbare Varianten der Rückenlehnkonstruktion, der Klappmechanismus wird entwickelt.

Die Renaissance intensiviert das Experimentieren mit Konstruktion und Dekor und setzt die währende Nutzung fort. „Lutherstuhl“ oder „Dantesca“- so wurden Scherenstühle dieser Zeit häufig tituliert.

Barock und nachfolgende Epoche des Klassizismus hatten weniger am Scherenstuhl Gefallen gefunden, bzw. scheinen keine innovativen Ideen und Neuerungen am Grundmodell vollzogen worden zu sein.

Der Historismus beschert dem Möbel dann wieder eine Revitalisierung, was aus dem umfassenden Interesse an vergangenen Stilen, aber auch schlicht aus den Qualitäten des jahrhundertelang bewährten Modells nachvollziehbar ist.

Eben dieses Grundmodell hat sich in seiner Konstruktion, quasi seiner Urform letztlich auch kaum verändert. Noch heute finden wir in kleinen Touristenorten der Algarve in Portugal in mancherorts fast jedem kleinen Handwerkerbetrieb, welcher ein wenig vom Geschäft mit den Touristen profitieren möchte, stapelweise Scherenstühle zum Verkauf angeboten.

Die regionale Verbreitung ist als letztlich als weltweit zu bezeichnen- auf allen Kontinenten ist er als funktionales Sitzmöbel seit jeher bekannt und beliebt.

Die fast ununterbrochene Linie in der Herstellung und dem Gebrauch jenes Sitzmöbels liegt wohl in mehreren Aspekten begründet. Dieser sprichwörtliche Klassiker besticht nach wie vor in seiner Einheit von Form und Funktion. Er ist praktisch, weil zusammenfaltbar, somit platzsparend, leicht transportabel also vielseitig und vielerorts einsetzbar. Diese Funktionalität ergibt sich auch nicht zuletzt aus dessen relativ geringen Abmessungen und sparsamen Materialmengen. Für seine Fertigung kann letztlich auch Restholz von geringen Stärken und Längen verwendet werden, was in holzarmen Gegenden und Zeiten ausschlaggebend für die Produktion von Mobiliar gewesen ist. Seine Form ist wohl mit dem Begriff des zeitlosen Design am besten charakterisiert, wie sonst hätte er sich über Jahrtausende solcher Beliebtheit erfreuen können?

Zur sozialen Stellung der Nutzer

Geht man rein von den überlieferten bildlichen Darstellungen und Exemplaren von Scherenstühlen aus, so könnte man meinen, es habe sich um ein Modell für betuchtere Nutzergruppen gehandelt. Auf antiken Vasenbildern sitzen zumeist Personen- Frauen und Männer- höheren Ranges auf ihm.

Einige mittelalterliche Darstellungen zeigen Frauen auf Scherenstühlen, die nicht zum einfachen Volk gehörig waren. Eine Frau nutzt ihn als Stuhl zum malen- welche einfache Frau hätte sich dies damals zeitlich und finanziell leisten können?

Ein hochmittelalterliches Tafelbild zeigt ihn als Sitzgelegenheit für Jesus Christus persönlich! Dabei wird die biblische Szene in den gutbürgerlichen Wohnraum transferiert. Neben dem Thema des Gastmahls in Bethanien ist offensichtlich die Präsentation der bürgerlichen Wohnkultur besser situierter Leute Hauptthema. Zinngeschirr, edle Stoffe und eben auch ein Scherenstuhl gehören hier zum Inventar, welches zu zeigen sicherlich Anliegen der Stifter des Altarbildes war.

Eine historische Gegebenheit ist, dass sich lange Zeit tatsächlich lediglich die reiche Gesellschaft Mobiliar leisten konnte. Eine andere Tatsache ist, dass eben nur diese Gesellschaften- zumindest bis ins Mittelalter- überhaupt Gegenstand solcher Darstellungen sein konnten.

Bei den original erhaltenen und überlieferten Stühlen ist es sicherlich so, dass nur außergewöhnliche Modelle, welche z.B. in ihrem aufwendigen Dekor hervortraten, aufgehoben und weitergegeben wurden, im Sinne von kunsthandwerklichen Meisterstücken.

Es ist jedoch auch davon auszugehen, dass das Modell Scherenstuhl allein durch seine höchst praktische Funktionsweise auch Gebrauchsmöbel der einfachen Bevölkerungsschichten gewesen ist. Bei der Verwendung in einfachen Häusern wird er wohl in dem reinen praktischen Nutzen angepassten, schlichten Varianten zu finden gewesen sein.

In seinem Ursprung und seiner Rezeption in der Kunstgeschichte kann ihm aber unzweifelhaft die Funktion als Würdesitz zugesprochen werden, vergleichbar mit der symbolhaften Bedeutung eines Thrones. Auf einem Scherenstuhl zu sitzen, kam einer Auszeichnung gleich.

Er wird zum Statussymbol seiner Nutzer.

In der Kunstgeschichte, der Malerei- von der Antike bis heute- erhält er die Aufgabe eines dem Nutzer dieses Mobiliars beigestellten Attributes. Er soll den Sitzenden charakterisieren, meist seinen Stand, seinen Status helfen zu definieren und ist dabei letztlich immer Ehren- oder Würdesitz für Angehörige einer gehobeneren sozialen Stellung.

Quellen, Literatur, Bilder - Scherenstuhl

Nachfolgend ausführliche Informationen zu den Quellen, der verwendeten Literatur und verwendeten Bilder in dem Artikel "Geschichte des Scherenstuhls" von Wilma Rambow.

1Zitat: Ch. Hermann Walde: Der praktische Tischler. Leipzig 1906.

Bildnachweis

Rekonstruktion eines gotischen Scherenstuhlmodells, Anfertigung der Autorin 2008

Literatur

Brunschwiler, J.: Stilkunde für Schreiner, 1994.

Feulner, Adolf: Kunstgeschichte des Möbels, Propyläen Kunstgeschichte, Sonderband II, 1980.

Holm, Edith: Stühle- Von der Antike bis zur Moderne, 1978.

Krauth, Th./ Meyer, F. S.: Das Schreinerbuch- Die Möbelschreinerei, 1996, (Repr. von 1902)

Nicolle, David: Leben im Mittelalter 1000- 1500, 2000.

Walde, Ch. Hermann: Der praktische Tischler, 1992 (Repr. von 1906).




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