Als Vorläufer der Ölmalerei zählt Tempera zu den haltbarsten Maltechniken – und zu einer der interessantesten. Als Tempera bezeichnet man im engeren Sinne Farben, die nicht aus rein fett- oder ein wasserlöslichen Stoffen bestehen, sondern eine Emulsion aus beidem bilden – eine „Mischung“, die keine vollständige ist, sondern durch feinste Tröpfchenbildung eines der beiden Bestandteile zustandekommt.
Geschichte der Temperamalerei
Traditionell kennt man die Technik vor allem aus der orthodoxen Ikonenmalerei, die diese Technik bis heute verlangt. Auch in früh- und hochmittelalterlichen Tafelmalereien Mittel- und Westeuropas kam sie sehr häufig zum Einsatz, wurde aber nach Erfindung der Ölmalerei im Spätmittelalter (bei der schlicht alle wässrigen Bestandteile und der Emulgator weggelassen wurden) zunehmend von dieser verdrängt. Allerdings existieren auch viele Werke, die beide Techniken miteinander kombinierten – etwa für verschiedene Bestandteile des Bildes; oder für eine Untermalung in Tempera mit den oberen Schichten in Öl. Letzteres ist z.B. von Peter Paul Rubens bekannt.
Seit der Erfindung von Acrylfarben verlor die Temperamalerei zunehmend an Bedeutung und wird nur noch von einigen wenigen Künstlern praktiziert.
Bestandteile und Herstellung
Neben Pigmenten besteht Temperafarbe aus mindestens einem fettigen und einem wässrigen Bindemittel – ersteres ist traditionell häufig Leinöl, letzteres können zum Beispiel organische Leime, Gummi arabicum oder Zelluloseleime sein. Für die Verbindung beider Anteile muss es zudem eine Art „Vermittler“ geben, den Emulgator – einen Stoff, der feinste Tröpfchenbildung ermöglicht. Bei Eitempera ist dies das im Eigelb enthaltene Lecithin, bei Kaseintempera aus Milch gewonnenes Protein, das mittels eines alkalischen Stoffes aufgeschlossen und anschließend mit Pflanzenöl und Pigmentsumpf versetzt wird.
Manche Mischungen verwenden auch einfach reines Wasser als wässrigen Bestandteil; hier haben nur das Öl und ggf. der Emulgator Bindekraft, das Wasser fungiert als Medium für das Pigment, um das Farbvolumen zu erhöhen oder die Farbe zu verflüssigen.
Da die Farbe extrem schnell verdirbt, muss sie immer frisch angerührt werden. Eine sehr einfache Methode besteht darin, ein Ei in ein Schraubglas zu schlagen und anschließend jeweils denselben Volumenanteil Wasser und Leinöl zuzugeben. Durch Schütteln verbinden sich die Bestandteile zu einer relativ flüssigen Emulsion, die auf einer Palette mithilfe eines Pinsels mit kleinen Mengen Pigment vermischt werden kann.
Eigenschaften und Deckkraft
Die Farbe kann sowohl deckend als auch lasierend aufgetragen werden. Besonders auf den traditionellen saugfähigen Kreide- oder Gipsgründen „steht“ jeder Pinselstrich sofort nach dem Auftrag unmittelbar und unveränderlich – dies macht Korrekturen ebenso schwer bis unmöglich wie sanfte Farbübergänge. In der Ikonenmalerei wurde eine Technik entwickelt, sich an letztere durch feinstes Stricheln vieler winziger Pinselstriche unter Verwendung mehrerer nah beieinanderliegender Farbtöne optisch anzunähern. Die sachgerechte Verarbeitung von Tempera erfordert auf jeden Fall viel Erfahrung und handwerkliches Geschick.Einmal durchgetrocknete Tempera ist aufgrund der öligen Bestandteile wasserfest und kann nur mit Terpentinersatz, Alkohol o.ä. wieder angelöst werden.
Anwendung der Temperafarben
Tempera kann beim Trocknen eine extrem hohe Oberflächenspannung entwickeln, weshalb sie für Leinwand ungeeignet ist und traditionell auf Brettern angewendet wurde. Möglich ist auch, auf sehr starkem Aquarellpapier zu arbeiten, das durch Verleimung noch fest mit dem Papierblock verbunden oder mit Haftzwecken auf einem Malbrett angebracht ist. Die starke Spannung erklärt auch, weshalb große Leinwandformate erst nach Erfindung der Ölfarbe möglich wurden.
Als Grundierung dient traditionell ein in mehreren dünnen Schichten aufgetragener Kreidegrund; auch Gesso, acrylhaltiges Grundierweiß o.ä. sind möglich. Die Farbe kann mit etlichen anderen Farben kombiniert werden, wobei deren unterschiedliche Eigenschaften bei geschickter Anwendung reizvoll mit denen von Tempera kontrastieren.
Das Auftragen eines Firnis ist im Grunde nicht nötig, wurde in der Vergangenheit aber häufig praktiziert. Dieser war oft „fettiger“ als die Farbe, meist auf Öl- und/oder Harzbasis.
Besonderheiten: Vorteile und Nachteile
Gegenüber Ölfarbe hat Tempera den Vorteil, dass sie beim Trocknen keine Risse bildet, da sie ihr Gesamtvolumen nicht verändert – das enthaltene Wasser verdunstet; das sich bei der Oxidation ausdehnende Öl kann in die dadurch entstandenen mikroskopischen Hohlräume vordringen. Außerdem hat Temperafarbe sich über die Jahrhunderte als extrem beständig erwiesen – besonders bei der Verwendung hochwertiger Pigmente mit der entsprechenden Lichtechtheit können Werke in dieser Technik bis auf ein leichtes Vergilben mitunter über lange Zeit in extrem gutem Zustand erhalten bleiben. Sie hat die Farbbrillanz von Ölfarbe, ist aber aufgrund der wässerigen Volumenanteile im Vergleich preiswerter.
Nachteile liegen in der relativ schwierigen Verarbeitung und der kurzen Haltbarkeit frisch angerührter Farbe. Letztere liegt darin begründet, dass die organischen Bestandteile wie Ei, Kasein, Knochenleim u.ä. extrem leicht verderblich sind; außerdem bietet gerade die Mischung aus fettigen und wässrigen Bestandteilen einen idealen Nährboden für Bakterien und Schimmelpilze.