Der Leichtfuß und die Königin

Der edlen Ritter Lieben und Leben ist in Schmalkalden zu besichtigen.
Was hat der "Hessenhof" in Schmalkalden mit den Höhlen im französischen Lascaux gemeinsam? Beide nennen hochbedeutende Wandmalereien ihr eigen: steinzeitliche Höhlenmalereien dort und die ältesten bekannten Profanmalereien in Deutschland hier. Und an beiden Orten haben die verantwortlichen Denkmalpfleger aufwendige, in ihrer Art einmalige 1:1-Kopien von den Räumen anfertigen lassen, um die stark gefährdeten Kunstschätze zu retten ohne sie der Öffentlichkeit vorenthalten zu müssen.

Im Jahre 1203 war Schmalkalden durch die unglückliche Bündnispolitik des Landgrafen Hermann I. von Thüringen im Krieg zwischen Staufern und Welfen zerstört worden. Doch da der Marktflecken dank seiner günstigen Lage an alten Handelswegen und großen Erzvorkommen eine vielversprechende Zukunft hatte, wurde der Ort nicht nur zügig wiederaufgebaut, sondern auch erweitert. Weil Schmalkalden in einem Talkessel zwischen den Flüssen Schmalkalde und Stille liegt, hatte man den neuen Ortsteil in einem Feuchtgebiet der Schmalkalde bauen müssen. Am sogenannten Neuen Markt wurde 1203 als eines der ersten Gebäude die Vogtei, der Amtsitz der thüringischen Landgrafen, erbaut. Mehrmals wurde das große Gebäude umgebaut. Ab 1360 wird es als Hessenhof bezeichnet, da ab diesem Jahr die Landgrafen von Hessen gemeinsam mit den Grafen von Henneberg regierten.
Die Wandmalereien im Hessenhof, die die Sage vom edlen Ritter Iwein erzählen, entstanden zwischen 1220 und 1230. Bis etwa 1550 erhöhte sich durch Schwemmsand das Bodenniveau um den Neuen Markt um rund 1,60 Meter. Damit liegt der ehemals ebenerdige, tonnengewölbte Raum mit den sogenannten Iwein-Fresken im feuchten Keller. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1860 konnte nicht verhindert werden, daß die Malereien aufgrund der starken Feuchtigkeit immer weiter verblaßten. Erst ab 1970 haben die Denkmalpfleger mittels Drainagen und anderen modernen Techniken den Raum trockenlegen können. Doch die Wandmalereien sind so empfindlich, daß der kleine Raum für die Öffentlichkeit geschlossen werden mußte.
So entschieden das Land Thüringen und die Stadt Schmalkalden, die bereits 1983 geborene Idee umzusetzen, eine mit dem Raum völlig identische Kopie anzufertigen. Seit September 1996 kann in einem großen Kellergewölbe von Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden die Kopie des Tonnengewölbes mit dem Iwein-Zyklus besucht werden. Auf sechs Streifen am Gewölbe und einem großen Hauptbild an einer Stirnwand wird in 26 Szenen die Sage von Ritter Iwein erzählt. Weitere Szenen sind verlorengegangen. Die Bildstreifen sind zwischen 70 und 86 Zentimeter breit. Ihre einzelnen Szenen werden durch Bäume oder Türme getrennt. Für diejenigen, die nicht so vertraut waren mit der Geschichte des Helden, hat der unbekannte Künstler die Namen der handelnden Personen in einem schmalen Streifen darunter geschrieben.
Trotz der zarten Konturen und der verblaßten, einstmals kräftigen Erdtöne ist es ein Erlebnis, eine Geschichte aus der berühmten Artussage zu betrachten. Ihre Romanvorlage war in jener Zeit der Minneverehrung bei der höfischen Gesellschaft das, was wir heute einen "Bestseller" nennen. Doch wer kennt noch das um 1200 von Hartmann von Aue gedichtete Epos von Iwein, dem tapferen Ritter mit dem Löwen? Der Roman umfaßt insgesamt 8.166 Verse und hat wie alle Heldenepen eine recht verzwickte Handlung. Hier der Versuch einer kurzen Zusammenfassung: Wie immer zu Pfingsten finden sich die Ritter der Tafelrunde am Hof von König Artus ein, um von ihren Abenteuern zu berichten. So bekommt Ritter Iwein die Geschichte vom Zauberbrunnen im Wald von Broceliande zu hören: Wer Mut und Tapferkeit beweisen wolle, der solle Wasser aus diesem Brunnen in eine Schale gießen. Dann bräche ein Unwetter hernieder und ein geheimnisvoller und angriffslustiger Herr des Brunnens, der Schwarze Ritter, erschiene plötzlich, um den Brunnen zu schützen.


König Artus selbst reizt dieses Abenteuer.
Doch Iwein kommt ihm zuvor. Er findet den Zauberbrunnen, wird dort - wie angedroht - vom Schwarzen Ritter gestellt und liefert sich mit ihm einen heftigen Kampf. Schwer verletzt flüchtet der Schwarze Ritter, - es ist König Askalon -, in seine Burg, wo er seinen Wunden erliegt. Iwein, der ihm nachsetzt, wird im Burgzwinger gefangen. Doch die Zofe Lunete rettet ihn, indem sie ihm einen Ring gibt, der unsichtbar macht. Die listige Lunete rät Königin Laudine, die Iwein mit dem Tod Askalons zur Witwe gemacht hatte, den tapferen, wenn auch leichtfertigen Helden zum Wächter des herrenlosen Brunnens zu ernennen. So wird Iwein wider Willen mit einem Schlag Herrscher und Ehemann. Zum Glück mögen sich die Jungvermählten.
Iwein aber fehlt es an Kurzweil. Er will Abenteuer bestehen. Laudine läßt ihn unter dem Versprechen, auf den Tag genau in einem Jahr zurückzukehren, schweren Herzens ziehen. Iwein aber vergißt sein Gelöbnis. Seine Frau tut das, was man nicht nur damals in solchen Fällen tat: Sie verstößt ihn. Er verliert all seine Ritterwürden. Selbst entsetzt über sein verantwortungsloses Handeln, irrt Iwein durch die Welt. Als er in einem Wald einem hilflosen Löwen im Kampf gegen ein Ungeheuer hilft, hat Iwein einen Freund fürs Leben gefunden. Und noch mehr: Er ist nach dieser "christlichen" Tat wieder auf dem Weg zur höfischen Vollkommenheit. Am Ende siegen Treue, Glaube und Tapferkeit. Das Ehepaar versöhnt sich und regiert bis zum Ende seiner Tage als "ideales Herrscherpaar".
Ob ein Hof zum Hort der Minneliteratur wurde oder nicht, hing vornehmlich von der Initiative der fürstlichen Auftraggeber ab. Dies läßt sich sehr deutlich in Thüringen verfolgen: Als Landgraf Hermann I. von Thüringen 1190 an die Macht kam, wurde sein Hof mit einem Mal zum Mittelpunkt der Rezeption französischer Dichtung. Hermann rief den Minnedichter Heinrich von Veldeke nach Thüringen, damit er seinen Roman "Eneid", der den höfischen Roman in Deutschland begründen sollte, an seinem Hof vollende, und der Landgraf machte Wolfram von Eschenbach mit der französischen Quelle seines "Willehalm" bekannt.
Ob der thüringische Landgraf auch Kontakte zu Hartmann von Aue (etwa 1160 bis 1220) knüpfte, ist nicht bekannt. Hartmanns Roman vom ritterlichen Helden Iwein, der schuldbeladen und geläutert den Weg zur höfischen Vollkommenheit geht, wurde ein Klassiker. Er erfüllte alle Vorstellungen der höfischen Minne. In ihm wird erstmals eine psychologische Entwicklung erzählt, nämlich der Reifeprozeß zweier Menschen zu einem "guten" Ehe- und Herrscherpaar über ein Königreich. Auf die höfische Gesellschaft des 12./13. Jahrhunderts wirkten diese Ritterromane wie "poetische Handbücher der adeligen Gesellschaftskultur" (Joachim Bumke). Sie lebte regelrecht danach. Einerseits orientierten sich die Dichter am Geschmack und an den Werten ihres adeligen Publikums, andererseits prägten sie mit ihren Heldenepen die Maßstäbe der höfischen Gesellschaft.
Warum nun in Schmalkalden der Vogt gerade die Sage vom Ritter Iwein für einen seiner Amtsräume wählte, ist ungeklärt. Geschaffen wurden die Malereien vermutlich während der Regierungszeit Ludwigs IV. von Thüringen und seiner jungen Frau, der heiligen Elisabeth. 1227 verabschiedete sich Ludwig von seinen Untertanen in Schmalkalden. um am Kreuzzug teilzunehmen. Doch kurz vor dem Aufbruch ins Heilige Land starb er. Vielleicht sollten die Iwein- Malereien seine Regierung verherrlichen, denn nach Hartmann von Aue war jeder Fürst und jeder König, von dem die höfische Dichtung erzählte, "der allertiureste man, der rters namen ie gewan", der allerwürdigste Mann, der Ritternamen je gewann.

cro
 
Bild1: "Das Eheversprechen". Szene aus dem Iwein-Zyklus, der zwischen 1220 und 1230 entstand.
Bild2: Die originalen Iwein-Fresken im heutigen Kellergeschoß des Hessenhofes in Schmalkalden gelten als die ältesten Profan-Malereien in Deutschland.
Bild3: Ausschnitt zweier Scenen: Rechts schöpft König Artus Wasser aus dem Zauberbrunnen, links wird Ritter Key vom Pferd gestochen.
Bild4: Kopie des Raumes mit dem Iwein-Zyklus: Bruchsteinmauerwerk und Fenster sind nur aufgemalt.
Bild5: Laudine (Mitte) berät sich mit ihrer Zofe Lunete und den Würdenträgern ihres Landes.
Bild6: In einem großen Kellergewölbe von Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden befindet sich seit Herbst 1996 die Raumkopie des "Iwein-Kellers".


Zeitschrift monumente - Magazin für Denkmalkultur in Deutschland 8.Jg., Nr1/2 Februar 1998 ISSN: 0941-7125 s. 18, 19, 20
Autor Redaktion: Christiane Rossner (cro)
Herausgeber Deutsche Stiftung Denkmalschutz
  Fotos: Roland Rossner, Fremdenverkehrsamt Schmalkalden (18u.)